160 Jahre Sommer und 100 Jahre Demeter

1864 wurde das Unternehmen Sommer gegründet und 1924 hielt Rudolf Steiner den Landwirtschaftlichen Kurs, womit er den Grundstein für die biodynamische Landwirtschaft legte. Zwei Jubiläen fallen also in einem Jahr zusammen.

Ein schöner Anlass für ein Gespräch mit dem Unternehmensinhaber Dietrich Praum und der Marketingleiterin Manuela Eschment von Sommer dachten wir, und so machten sich Andrea Schürgers (Geschäftsführende Vorständin Demeter im Westen) und Thorsten Keuer (Referent regionale Marktentwicklung Demeter im Westen) auf den Weg nach Neu-Anspach. Schon beim Einbiegen in die Rudolf-Diesel-Straße strömt einem ein warmer Duft entgegen und man ahnt, hier wird gebacken. Lesen Sie von einer langen Familientradition, die mit Zwieback begann.

Schürgers: Wussten sie denn immer schon, dass Sie diese Firma einmal übernehmen wollen? War das ein Kindheitstraum?

Praum: Das war es tatsächlich. Ich bin ja in dem ganzen Kontext Familienbetrieb groß geworden. Als ich Kind war, haben wir direkt im Firmengebäude gewohnt. Mit meinen Eltern, meiner Schwester, meiner Tante, meinem Onkel, meinen Großeltern … und vielen Katzen (lacht). Also das war eine große Familie, die Firma und die Familie, das war eins. Wenn ich von der Schule nach Hause kam, war ich im Prinzip im Hof der Firma, bin durch die Produktion gelaufen, die Leute haben mich begrüßt, ich hab die Leute begrüßt. Und als ich noch Kind war, habe ich entschieden: Das will ich mal machen! Dann habe ich mal kurz was anderes gemacht, aber nicht lange. Ich habe eine kaufmännische Lehre gemacht, dann Betriebswirtschaft studiert und war noch mal kurz in anderen Firmen, um ein bisschen was anderes zu sehen. Aber ich habs nicht länger als eineinhalb Jahre woanders ausgehalten. Dann bin ich nach Hause gekommen und habe – wie man so sagt – von der Pike auf alles gelernt, also in der Produktion angefangen.

Ich hab dann entschieden, dass wir uns bei der Betriebsgröße, die wir hatten, aus dem Massengeschäft zurückziehen und mehr nach Qualität streben mussten statt nach günstigen Preiseinstiegsprodukten, so war das nämlich damals.

Das heißt, wir haben dann mit meinem Einstieg in die Firma begonnen, unser Sortiment auf Bio umzustellen. Ich bin 1996 in die Firma eingetreten, 1998 haben wir dann die ersten Bio-Produkte gemacht. Fünf Jahre später hatten wir einen Demeter-Vertrag. Das kam aus dem Gedanken, die bestmögliche Qualität herzustellen, im Rahmen unser rezepturlichen Möglichkeiten.

Keuer: Was war der Auslöser, der Impuls, um auf die Bio-Herstellung zu wechseln?

Praum: Ja, wie gesagt, meine gewünschte Ausrichtung hin zu mehr Qualität im Sinne von Qualität des Produktes, angefangen beim Rohstoff natürlich, und dann in der Verarbeitung. Die Umstellung wurde aber auch ausgelöst durch Menschen, die ich kennen lernte und die mich an die Hand genommen haben. Das war auch eine große Motivation, dass ich dann die Demeter-Mitgliedschaft angestrebt habe. Der Mensch, der mich da am meisten mitgenommen hat, war Karl Huober. Wir haben sehr früh angefangen, zusammenzuarbeiten. Wir durften für ihn eine Zeitlang Demeter-Zwieback herstellen und da waren wir sehr häufig in sehr intensiven Gesprächen und haben uns oft gesehen. Er hat mir viel über Demeter-Landwirtschaft, über Anthroposophie und auch über seinen Werdegang gesagt. Er hat mir erzählt, wie er als jüngerer Mann eingestiegen ist, da gab es gewisse Parallelen. Im Prinzip habe ich mich von ihm inspirieren lassen, wie man für eine konventionelle Firma die Umstellung schafft auf sinnvolle Produkte, dann auch auf Demeter Produkte.

Schürgers: Zum Zwieback sind viele Produkte dazu gekommen. Wie hat sich die Produktpalette entwickelt in den letzten 160 Jahren?

Praum: Also in den letzten 160 Jahren war es so, dass in den ersten 80 Jahren tatsächlich nur Zwieback hergestellt wurde. Dann ging es so langsam los, in den 20er, 30er Jahren, dass bei uns Süß- und Salz- Gebäck gemacht wurde. Am Anfang Süß-Gebäck nur zu Weihnachten. Dann kam mit der Zeit die Salzbrezel- und Salzsticks-Produktion dazu und das ist so geblieben bis in die 90er. Dann haben wir anfangen mit der Umstellung auf Bio, und damit haben wir auch angefangen, mehr Rezepturen zu kreieren. Bei Zwieback ist zum Beispiel der ungesüßte Zwieback entstanden. Bis dahin waren alle unsere Zwiebacke gesüßt, es war halt so, dass Zwieback süß war. Aber der Naturkosthandel hat ungesüßten verlangt.

Im Gebäckbereich haben wir dann viele neue Kreationen geschaffen, um nicht nur in der Vorweihnachtszeit Programm anbieten zu können, sondern das ganze Jahr über. Es sind auch viele salzige Produkte und Snacks dazugekommen, aber nicht Salzlaugen- und Salzsticks-Gebäck, das haben wir eingestellt. Dafür gibt es jetzt unser Pane Picco, das es ja jetzt auch schon seit 15 Jahren gibt.

Keuer: Das Biosegment im Allgemeinen, aber auch in ihrem Unternehmen ist ja in den letzten Jahren ziemlich stark gewachsen. Hätten Sie vor 20 Jahren gedacht, dass sich das einmal in dieser Größenordnung so entwickelt?

Praum: Das hab ich mir so gedacht, ja. (Alle lachen) Jedenfalls für mich war klar, als wir mit Bio anfingen, dass das nicht nur eine Modeerscheinung ist, sondern dass das eine grundlegende Änderung im Bereich Landwirtschaft und Ernährung sein wird. Das lag ja damals schon auf der Hand, dass es so nicht weitergehen kann und dass die Kunden auf jeden Fall mehr und mehr zu naturnaher Ernährung tendieren und dann ist das eben Bio oder Demeter oder auch ein anderer Anbauverband. Als wir entschieden haben, uns dem Bereich Bio zu widmen, waren wir ja auch so eine kleine Firma, dass auch der Markt damals schon – der noch viel kleiner war als der jetzige – längst groß genug war, dass wir da Platz finden konnten. Als kleiner Hersteller hat uns damals schon das Potenzial gereicht und umso schöner ist es, dass das noch gewachsen ist durch den Zuspruch der Kundinnen und Kunden. Wir waren damals, als wir anfingen, bei einem Bio Anteil von ein bis zwei Prozent. Das hat sich vervielfacht seitdem. Und der Bio-Anteil bei uns im eigenen Unternehmen der liegt schon seit fast 20 Jahren bei so gut wie hundert Prozent.

Schürgers: Sie haben gesagt, dass die Umstellung ziemlich reibungslos funktioniert hat. Gab es dennoch ein Schlüsselerlebnis, bei dem Sie dachten, jetzt hat sich wirklich etwas verändert?

Praum: Die Backeigenschaften sind bei einem so empfindlichen Produkt wie Zwieback etwas anders, wenn man mit einem Demeter-Dinkelmehl backt.

Aber dafür sind wir lange genug Zwieback-Bäcker, um das hinzubekommen. Aber das war eine Umstellung, schon auch in der Produktion.

Was ich dann irgendwann mal als sehr positiv wahrgenommen habe, aber das war nicht so ein einzelnes Erlebnis: In der Biobranche herrscht ein anderer Ton als im konventionellen Bereich. Ob das so ist, dass die Lebensmittel, mit denen sich die Marktteilnehmer da befassen, irgendwie positiv abfärben auf das Verhalten, das kann ich nicht beurteilen. Aber es ist ein partnerschaftlicheres Zusammenleben als im rein konventionellen Geschäft. Das habe ich so wahrgenommen. Vielleicht liegt es aber auch am Generationswechsel in dieser Zeit.

Keuer: Heißt das auch für Sie, dass Sie mit Ihren Lieferanten schon lange zusammenarbeiten und eine gute Anbindung haben?

Praum: Ja. Grundsätzlich streben wir an, dass wir mit einem Lieferanten langfristig zusammenarbeiten, das ist auch so. Insbesondere bei den Hauptrohstoffen also Getreide und Mehl, da ist es ganz wichtig, dass man eine langfriste Zusammenarbeit hat, allein schon wegen der Verfügbarkeit der Sorten, die wir brauchen. Ein Mehl ist ja meistens eine Mischung aus verschiedenen Schlägen, so dass die Backeigenschaften über die Zeit möglichst gleich bleiben. Da brauchen wir Verlässlichkeit auf beiden Seiten. Unsere Partner müssen wissen, dass wir es über die Zeit abnehmen, der Müller muss es so weitergeben, dass die Landwirte weiter für ihn anbauen und das führt dazu, dass man auch ohne schriftliche Vereinbarungen von Jahr zu Jahr weiter miteinander arbeiten kann. Das ist ganz toll. Es ist ganz klar, dass bestimmte Bauern hinter den Sorten stehen und die Qualitäten liefern, damit wir ein optimales Mehl haben. Als wir anfingen, uns mit Dinkel zu befassen, war das nicht ganz so leicht, die richtige Zusammensetzung für Zwieback zu finden. Da haben wir viel mit den Müllern zusammengearbeitet.

Schürgers: Gibt es einen Meilenstein, der Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?

Praum: Wir sind ja vor 13 Jahren – Anfang 2010 – komplett umgezogen mit der Firma. Das ist natürlich der Meilenstein überhaupt. Wir haben am 2. Februar 2010 in Friedrichsdorf das letzte Mal gebacken und am 3. Februar das erste Mal hier. Das ist natürlich für mich und meinen Vater und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vom alten Standort zu dem neuen Standort mitgegangen sind – ein ergreifender Moment gewesen. Alle sind mitgezogen: Die Techniker, die Produktionsleute, die Verwaltung – die haben das alle mitgetragen. Es war natürlich eine schwierige Zeit, bis alles lief, aber das ist der Meilenstein der letzten Jahre gewesen – das hat die Firma ganz anders aufgestellt. Das hat dann erst Wachstum zugelassen, von den Räumlichkeiten, von den Kapazitäten. Das ist der Meilenstein in meinem Berufsleben bisher.

Schürgers: Gibt es ein Produkt, dem sie selbst am wenigsten widerstehen können?

Praum: Cantuccini – das ist das erste Produkt, das ich entwickelt habe als Neu-Zugang hier in der Firma. Es ist nach wie vor eines unserer besten, also von den Verkaufszahlen – und auch das, was von mir am meisten verzehrt wird.

Keuer: Was macht das Produkt so besonders?

Praum: Die Geschichte zum einen und dass es einfach wahnsinnig lecker ist. Lecker ist es, weil es einfach eine tolle Rezeptur ist: Viele Mandeln, schön süß, knackig. Ich mag gern knusprige Konsistenzen bei Keksen. Und besonders ist es von der Geschichte her. Die Idee habe ich aus den Flitterwochen mitgebracht…

Schürgers: Aus Italien dann wahrscheinlich?

Praum: Tatsächlich nein, aus Kalifornien. (Alle lachen)

Die Idee haben wir in den Coffee-Shops bekommen. Dort gab es ein Produkt, das hieß Biscotti – in Amerika heißen sie halt Biscotti. Die waren zwar knüppelhart, aber wir dachten, wenn wir die besser machen, dann können wir die gut in Deutschland verkaufen. Wir sind dann heim gekommen und haben uns an die Entwicklung dieses Produkts gemacht. Es ist bis heute eines der ganz starken Produkte. Und inzwischen heißt es auch Cantuccini – eben wie in Italien.

Schürgers: Haben sie einen großen Wunsch, was Sie gerne entwickeln würden? Ihr Gebäcktraum oder Ihr Unternehmenstraum?

Praum: Mein Traum ist, dass ich die Firma so aufstelle, dass sie funktioniert, wenn ich sie nicht mehr mache. So wie es die letzten 160 Jahre auch war, dass es immer von einer zur nächsten Generation einen guten Übergang gab. Mit Menschen, die übernommen haben, die wirklich ihr Herzblut darein gegeben haben. Das sehe ich auch als meine Verantwortung, weil hier ja eben 105 sehr geschätzte Kolleginnen und Kollegen arbeiten. Eine Firma ist halt nicht ‘ne One-Man-Show von einem Unternehmer oder Inhaber, sondern das ist eine Gemeinschaftsveranstaltung. Und das wäre wirklich mein Traum, dass das noch Generationen weiter läuft. Ich bin jetzt die Fünfte, es wäre schön, wenn es mal die Zehnte gibt….in welcher Konstellation auch immer. Ich glaube, was uns ausmacht, ist Unabhängigkeit, familiäres Umfeld. Und das geht auch nur bis zu einer bestimmten Größe, deshalb ist Wachstum nicht unbedingt eine Wunsch-Vorstellung, sondern mein Wunsch ist, dass es tragfähig ist und das geht eben nur mit den richtigen Produkten, mit Qualität.

Keuer: Das heißt also, der Generationenwechsel und unternehmerischer Erhalt sind schon mit im Fokus. Gibt es schon Menschen, die aus der Familie oder aus der unternehmerischen Familie heraus ambitioniert sind, das in Ihrem Sinne weiterzuführen?

Praum: Na ja, ich bin jetzt Mitte 50, also es ist jetzt noch nicht so akut (lacht).

Aber natürlich muss man sich auch immer Gedanken machen, wie geht es mal weiter, wenn ich nicht mehr bin – es kann immer etwas passieren.

Aber es gibt noch nichts Konkretes, nein. Allerdings gibt es Hoffnungen…auf Seiten der Kinder. Ich habe Hoffnung, dass sie Spaß daran haben.

Schürgers: Das ist ja ein Prozess, der lange dauert, da muss man ja auch reinwachsen.

Praum: Ja, das geht nur freiwillig. Die Entscheidung muss reifen und es muss auch die Fähigkeit da sein. Es reicht nicht, es nur gerne zu machen. Aber viel wichtiger als das ist die innere Einstellung, sich dafür auch ins Zeug zu legen. Wenn man es selber mit Herzblut macht, findet man auch Begleiter, die da mitgehen. Man muss den Funken überspringen lassen. Nicht nur in der Familie, sondern auch auf alle Kolleginnen und Kollegen. Das heißt, da muss auch Spaß bei der Sache sein! Wir haben natürlich das Glück, dass wir Produkte haben, die auch einen Spaßfaktor haben. Man braucht sie nicht als Grundnahrungsmittel, aber sie versüßen das Leben. Wenn man sie isst, macht das Freude. Das wollen wir mit unseren Rezepturen vermitteln und mit unserem Auftritt. Deshalb haben wir – passend zum Jubiläum – auch die Gestaltung überarbeitet und aktualisiert – aber so farbenfroh wie bisher auch. Um diese Freude am Backen, die wir alle haben, zu transportieren.

Schürgers: Das ist ein hervorragender Schlusssatz. Möchten Sie uns dann noch was mit auf den Weg geben?

Praum: Dass wir mit Demeter weiter so gut zusammenarbeiten wie bisher auch. Es war die richtige Entscheidung, dass wir uns damals dafür entschieden haben. Es war auch überhaupt nicht die Frage, machen wir Demeter oder was anderes? Sondern der Wunsch war damals Demeter. Und wenn ich es heute zu entscheiden hätte, würde ich es genauso wieder machen.